Jörg Müllner über Amateurfilm als Quelle

Anlässlich der TV-Dokumentation „Wir bauen auf! Privatfilme aus der Nachkriegszeit“ (ZDF) haben wir mit dem Produzenten und Autor Jörg Müllner (History Media GmbH) über seine Zusammenarbeit mit der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg gesprochen.

Jörg Müllner arbeitete als Zeitungsredakteur, bevor er 1994 zum Fernsehen wechselte. Seitdem zeichnet der studierte Historiker als Autor und Regisseur für eine Vielzahl weltweit ausgestrahlter historischer Dokumentationen verantwortlich. Seine Filme „Baby Bundesrepublik – Wie die Demokratie laufen lernte“ und „Flucht in die Freiheit – Mit dem Mut der Verzweiflung“ waren 2009 im ZDF zu sehen. Beide Dokus zeigen spektakuläre Fluchtgeschichten von der Berliner Mauer. Müllner erhielt für seine dreiteilige Dokumentation „Göring – Eine Karriere“ (2006), die erstmals Filme aus dem Privatarchiv von Hermann Göring präsentierte, mehrere Auszeichnungen. Im Interview verrät er, warum er für seine Geschichtsdokus regelmäßig auf Privatfilm-Bestände unseres Archivs zurückgreift.

LFS Redaktion: Ihre Doku „Wir bauen auf! Privatfilme aus der Nachkriegszeit“ verwendet wie schon „Wir im Krieg“ oder „Geschichte des Karnevals“ Privatfilmaufnahmen auch aus der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg. Warum ist dieses Material für Sie so interessant?

Jörg Müllner: Lange Zeit wurde Zeitgeschichte mit überwiegend offiziellen Filmmaterialien erzählt, z. B. mit Material aus den Wochenschauen oder den regierungsamtlichen Publikationen. Dabei geben gerade private Filmaufnahmen viele Hinweise darauf, wie die Menschen damals die Zeit selbst erlebt haben. Deshalb ist die Landesfilmsammlung in Stuttgart ein so wichtiger und kompetenter Ansprechpartner für mich.

LFS Redaktion: Welche Rolle spielt die Landesfilmsammlung für Sie bei der Recherche?

Jörg Müllner: Uns ist es sehr wichtig bei den Recherchen direkt an die Quellen zu gehen, also zu Familien oder Sammlern, die interessanten Filme haben, oder zu Zeitzeugen, die selbst gefilmt haben und darüber berichten können. Es gibt zwei Punkte, warum wir bei der Recherche immer wieder und gerne nach Stuttgart kommen – zunächst ist es die Auswahl der Filme, die gut erfasst sind und in einer sehr guten Qualität vorliegen. Die Digitalisate sind oft in 2k oder werden zügig gemacht, wenn Interesse besteht. Im Laufe der Zeit hat sich in Stuttgart ein großer Schatz angesammelt.

Was ich hier außerdem sehr schätze, ist die inhaltliche Expertise von erfahrenen Archivaren wie Dr. Reiner Ziegler oder Anna Leippe. Wenn man eine Frage zu den Filmen hat, wird kompetent weitergeholfen. Dadurch, dass Herr Ziegler den Bestand über so lange Jahre selbst aufgebaut hat, kann er über viele Filme und ihre Entstehungsgeschichte konkret Auskunft geben. Die Arbeit ist auch einfacher, wenn man weiß, dass Quellen mit Einverständnis der Familien vorliegen. So lassen sie sich in Zusammenarbeit mit der Landesfilmsammlung schnell erschließen und mit Hilfe der Familien historisch einordnen.

Was ich hier sehr schätze, ist die inhaltliche Expertise von erfahrenen Archivaren wie Dr. Reiner Ziegler oder Anna Leippe.

LFS Redaktion: Welcher Moment der Recherche für „Wir bauen auf!“ ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Jörg Müllner: Überraschend war die Sichtung der originalen Filmrollen aus dem Bestand der Familie Hornung mit fantastischen 16mm-Filmen, die frühesten aus den 30er Jahren. Eine dieser Rollen zeigt einen Ausflug 1951 auf den Obersalzberg – ein Jahr bevor Hitlers Berghof gesprengt wurde. Wir sehen, wie das Ehepaar Hornung die Ruinen des weitläufigen Areals erkundet, die einstigen Wohnräume Hitlers, die Terrasse mit Blick auf die Berge. Sie wirken wie zwei Touristen, die nichts mit der Geschichte dieses wichtigen Erinnerungsortes zu tun haben. Dabei waren zum Zeitpunkt der Aufnahmen erst sechs Jahre seit Kriegsende vergangen. Im Film scheint all das sehr fern zu sein. Solche Dokumente helfen dabei, besser zu verstehen, wie Deutsche nach 1945 mit ihrer jüngsten Vergangenheit umgegangen sind. Viele wollten einen Schlussstrich ziehen. Aber diese Vergangenheit will eben nicht so schnell vergehen.